Im Sommer kam die Zusage, dass ich dieses Jahr beim Kleinen Kobolt starten darf.
106 Kilometer und 3361 Höhenmeter am Stück - das ist der verrückte Plan, der 2010 aus der Not geboren wurde, im Winter noch Qualifikationspunkte für die kommende Trail-WM zu sammeln.
Start ist um 14 Uhr in Rengsdorf. Das schaffen wir nach dem Briefing im Zielbereich in Bonn gerade so.
Meine Startnummer 24 klebt an der Brust, der Live-Tracker ist eingeschaltet - dann kann es ja losgehen.
Es geht sofort bergab und der Wurzelweg ist an vielen Stellen mit Laub bedeckt, so dass viele Stolperfallen nicht zu sehen sind.
Ich lasse es erstmal ruhig angehen und versuche einen Sturz zu vermeiden.
Das blaue-weiße Symbol ist gut zu erkennen und zu dieser Zeit ist die Wegfindung noch kein Problem. Mir ist es in der Outdoorjacke fast ein bisschen zu warm durch das ständige Auf und Ab.
Als erstes Zwischenziel habe ich mir gesetzt, den ersten Verpflegungsstand in Rheinbröhl, der angeblich nach ca. 28km kommen soll, bis 19 Uhr zu erreichen. Es sollte leider ganz anders
kommen.
Noch läuft es gut und ich kann mich mit den Kilometern an meinen Vorläufer (Axel mit der Nr. 17) heranarbeiten und ihn schließlich überholen.
So langsam geht die Sonne unter und der Blick auf den Rhein und die Dörfer hat eine tolle Stimmung in der einsetzenden Dämmerung.
Als es fast schon dunkel wird, kommt mir auf einem schmalen Weg ein Wanderer entgegen. Nach einem kurzen Gruß ruft er mir noch hinterher: "Ihr seid doch total bescheuert. Viel Erfolg
noch!".
OK, rein rational betrachtet, ist es schon sehr abwegig einen Weitwanderweg im Winter nonstop zu laufen, was normalerweise in 4-5 Wandertagen gemacht wird.
An der nächsten Bank hole ich meine Stirnlampe raus und setze meine Mütze auf. Jetzt ist es richtig dunkel.
Es geht durch die Weinberge oberhalb von Leutersdorf. Unten erstrahlt das Licht aus dem Dorf und ich bin hier oben alleine unterwegs. Keiner vor oder hinter mir in Sicht. In Leutersdorf scheint
eine Veranstaltung
zu sein, denn eine Blaskapelle spielt groß auf. Die Töne von "Feliz Navidad" und "Jingles Bells" heben meine Stimmung und treiben mich weiter voran - der Abend ist ja noch früh.
Die Ruine Hammerstein kommt langsam in Sicht und damit nimmt das Drama leider seinen Lauf!
Ich komme an einem Schild "Zelten verboten" vorbei. Das ist wohl auch eher was für den Sommer. Jetzt geht es steil bergauf und ich scheine einen Abzweig verpasst zu haben, denn
Rheinsteig-Schilder sehe
ich nicht mehr. Ich habe mich verlaufen - verdammter Mist!!!
Ich bin mitten im Nirgendwo und habe keine Ahnung, was ich machen soll. Mein Smartphone ist meine Idee -> "kein Netz". Ich liebe diese Herausforderungen. Was soll ich tun?
Den ganzen Weg wieder zurück bergab laufen, finde ich auch blöd. Anhand meiner ausgedruckten Karten erkenne ich einen Weg, der mich eigentlich auf den richtigen Weg zurückbringen sollte. Es geht
steil
runter und der Pfad ist sehr uneben. Mehr eine Wiese mit großen Löchern und das alles im Licht meiner Stirnlampe. Es kommt, wie es kommen muss: ich knicke innerhalb kurzer Zeit viermal um. Das
zweite
Mal ist so heftig, dass ein Schauer durch meinen Körper fährt. Ich schreie laut auf - das ist etwas im rechten Fuß gerissen. Aber die Kavallerie wird hier nicht hinkommen und mich retten.
Ich humpele also unter starken Schmerzen talwärts und treffe tatsächlich wieder auf den Rheinsteig. Na endlich, eine Stunde hat mich dieser dämliche Umweg gekostet, von der Schmerzen mal ganz
abgesehen.
Ich packe meine Schiene aus um den Knöchel zu stabilisieren. Im Dunkeln und bei der Kälte ist das Anziehen schwierig. Ich komme kaum in den Salomon-Schuh rein und dann tut mir direkt die Ferse
weh.
Das wird sicher schon werden, denke ich. Der zweite fatale Fehler an diesem Tag!
In meinem Kopf reift jetzt schon der Entschluss bei ersten Verpflegungsstand aufzugeben. Aber noch ist der ja gar nicht erreicht. Ich komme in einen Ort, aber nach zwei Straßen sind wir auch
schon wieder raus - ohne Verpflegung.
Zwei Läufer holen mich jetzt ein und wundern sich genauso wie ich. Wir haben nichts mehr zu trinken und keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Mit den beiden ist das Vorwärtskommen etwas leichter
und wir irren etwas durch den dunklen Wald auf der Suche nach dem Weg.
Nun holen uns zwei weitere Läufer mit einem GPS ein. "Ohne GPS ist das kaum zu machen", sagt der Mann und "der VP kommt gleich".
Tatsächlich nach 35 Km ist der Verpflegungspunkt in Rheinbröhl erreicht.
Hier gibt es warme Suppe und die Welt sieht schon ein bisschen besser aus. Der Supporter macht mir Mut - der nächste VP sei nur 20 Km entfernt.
Mir tut der rechte Fuß zwar höllisch weh, aber unter der Marathondistanz will ich hier auch nicht aufhören.
Den vier anderen Läufern kann ich nach zwei Kilometern nicht mehr folgen. Die Stirnlampen verschwinden langsam in der Ferne. Jetzt bin ich völlig alleine. Besonders bergab ist es sehr
schmerzhaft.
Aber das Tempo ist flott, denn von hinten läuft keiner mehr zu mir auf. Hinter Leubsdorf komme ich nach Dattenberg. "Dattenberg grüßt die Rheinsteig-Wanderer" lese ich auf einem großen
Schild.
Das ist nett. Die Straßen sind völlig verlassen und bald bin ich wieder in der Natur unterwegs - immer dem blauen-weißen Schild nach.
Die Rückseite meiner Jacke tropft, trotz der Kälte. Da muss irgendwas im Rucksack ausgelaufen sein. Aber das macht jetzt auch nichts mehr aus. Weiter geht's!
Schließlich erreiche ich Linz am Rhein. Die Kirche ist bunt angestrahlt, aus den Kneipen dröhnt Musik und Alkohol liegt in der Luft. Und ein Irrer treibt sich weiter vorwärts. In 45 Minuten
sollte ich
hoffentlich am Erpeler Ley sein. Dann ist in diesem Jahr endgültig Schluß mit dem Kleinen Kobolt!
Es geht ein letztes Mal bergauf und dann werde ich schon mit der Stirnlampe empfangen.
Nach 56 Kilometern und knapp 2000 Höhenmetern (ohne mein Verlaufen eingerechnet) lasse ich meinen Knöchel in Frieden.
In der Hütte ist es warm und es gibt scharfe Suppe. Hier bleibe ich.
Ich will mich heute nicht zum Invaliden laufen.
Natürlich ist der Abbruch des Kleinen Kobolts eine Enttäuschung.
Auch ohne die beiden fatalen Fehler wäre es noch eine schwierige Herausforderung geworden. Aber alleine und ohne GPS war es hart.
Ich fühle mich nicht als Jammerlappen oder Versager. Nach dem Umknicken habe ich nun Blut im Gewebe und Blasen unter der Ferse, da die Schiene nicht richtig anlag. Ein dummer Fehler!
Was mich zufrieden macht, ist die Tatsache, dass das Training Früchte trägt und auch meine Ernährung während des Laufs erfolgreich war.
Vor dem Verlaufen lag ich etwa auf Platz 25. Und selbst mit den Schmerzen hat mich zwischen VP1 und VP2 keiner mehr eingeholt.
Wenn ich es wirklich gewollt hätte, hätte ich wohl unter erheblichen Schmerzen durchhalten können, aber große Läufe sind im Februar geplant, die ich nicht gefährden wollte.
Ich werde meine Lehren ziehen und wieder angreifen!
Das war noch nicht das Limit!