Das Wetter ist mies. Bereits auf der Hinfahrt nach Kassel gibt es heftigste Schauer, so dass man nur noch mit stark gedrosselter Geschwindigkeit auf der Autobahn unterwegs ist. Das kann ja was werden.
Dafür gibt es dann wenig später einen riesigen Regenbogen wie aus dem Bilderbuch vor dunkelgrauem Hintergrund. Noch habe ich Hoffnung, dass sich der Regen bis Freitag früh verziehen wird, aber damit sollte ich gründlich daneben liegen.
Um 22 Uhr treffe ich am Startpunkt, der Königs-Alm ein, werden aber auf 1h nachts vertröstet: die Startnummernausgabe wird sich verzögern und erst kurz vorm Bustransfer beginnen.
Worauf habe ich mich da eingelassen. 169 Kilometer und 4000 Höhenmeter liegen vor mir und den anderen Hardcore-Typen, die es sich bei den 6.Intenationalen Grimmsteig-Tagen über die "Extrem XL"-Distanz mal so richtig geben wollen.
Drei aufeinander aufbauende Strecken sind von Donnerstag Nacht bis Samstag Abend zu absolvieren.
Mit Transportern geht es mitten in der Nacht nach Fuldabrück, wo uns der Bürgermeister um 2h nachts empfängt.
Bei der kurzen Vorstellungsrunde stellt sich heraus, dass ich weiteste Anreise aller Teilnehmer habe.
Der Bürgermeister entlässt uns mit den besten Wünschen in die Nacht. Gemeinsam mit zwei Wanderführern geht es nun zurück zur Königs-Alm. Das Tempo ist flott und wir kommen gut voran. Zwei mobile Verpflegungsstellen versorgen uns auf den 27 Kilometern. Langsam wird es hell und es geht zum Großteil zwischen Feldern Richtung Nordost. Die Wolken hängen tief und wir kommen gut voran. Als wir fast am Ziel sind, setzt der Regen dann doch noch ein. Gegen 7.20h ist die erste Etappe geschafft und es gibt erstmal ein bayrisches Frühstück auf der Alm und das Briefing für die zweite Etappe.
Punkt 8 Uhr soll es losgehen und es regnet heftigst. So richtig will keiner los, aber Zeit tickt ja schon.
Im ersten Abschnitt bergab durch den Wald ist es übelst matschig. So macht es anfangs nicht wirklich Spaß.
Ich finde mich am Ende des Feldes wieder und versuche Anschluss an das vor mir laufende Bruderpaar zu halten.
An der VP's kann ich immer etwas von meinem Rückstand aufholen und bleibe so zumindest immer in Sichtweite.
Mittags kommen wir an einem Golfplatz vorbei und jetzt kommt der Clou: der Golfrestaurant ist der Mittags-VP. Hier geht es eine tolle Suppe vom Sterne-Koch.
Hier treffe ich auch fast alle anderen Teilnehmer wieder. So groß war der Rückstand also gar nicht.
Am Nachmittag folgt der heftigste Schauer der ganzen Veranstaltung und durchnässt uns komplett. Jetzt sind auch die Schuhe und Socken nass, was Blasen quasi magisch anzieht. Zum Glück geht zumindest etwas Wind, so dass die Kleidung auch wieder trocknet.
"Weiter, immer weiter" lautet jetzt das Motto, denn um 20h soll ja der 3.Start sein und das wird brutal knapp. Wir kämpfen uns einmal sogar durchs Unterholz doch danach kommt die Königs-Alm langsam in Sicht und wir kommen tatsächlich um 19.45h ins Ziel.
Puh, das war knapp! Es bleibt wenig Zeit für ein paar Nudeln und dann sind wir schon wieder unterwegs ...
Jetzt beginnt der schwerste Teil.
Die gute Nachricht: nun sind wir richtig viele Teilnehmer, die schlechte: alle gehen ziemlich flott los.
Und so bilde ich wieder mal das Ende des Feldes. Aber nur bis zur ersten Verpflegungsstelle, danach lasse ich doch einige Leute hinter mir.
Jetzt wird es dunkel und die nächsten Stunden etwas zäh. Das Feld zieht sich immer weiter auseinander und es gilt reichlich Höhenmeter zu sammeln.
Als die Nacht so langsam zuende geht, verlaufe ich mich kurzzeitig an einer Stelle, wo die Markierung nicht ganz eindeutig ist. Der Fehler wird allerdings schnell offensichtlich und so bin ich nach 2 Minuten wieder auf Kurs.
Einzelne Starter geben jetzt schon auf. Ich setze mich von den anderen Teilnehmern etwas ab und merke, wie im Morgengrauen erste Halluzinationen einsetzen. Hui, das ist sicher auf den Schlafmangel zurückzuführen.
Es folgt ein knackiger Anstieg und mein Kreislauf ist etwas im Keller. Da nutze ich die nächste Bank um mich das erste Mal seit 30 Stunden auszustrecken und die Augen (kurz) zu schließen.
OK, weiter geht's. Es hat keiner von hinten aufgeholt und eine knappe Viertelstunde später ist der Frühstücks-VP erreicht. Hier treffe ich auch die Brüder wieder, die gerade im Aufbruch sind. Ich esse schnell ein Brot und habe wieder neue Energie. Nichts wie hinterher. Ich gebe bergauf Vollgas ... und bin 20 Minuten später wieder an ihnen dran.
Jetzt stellen wir uns endlich auch mal namentlich vor: Tobias und Markus, heißen die Beiden :-).
Gemeinsam spulen wir die nächsten Kilometer ab und erreichen um 9.30h die nächste große Verpflegung, wo es heiße Suppe gibt.
Noch 25 Kilometer to go und nun sollte es dramatisch werden. Ich lasse die beiden hinter mir und träume bereits vom Finish. Nun kommen auch Teilnehmer von anderen Strecken dazu, die den gleichen Zieleinlauf haben. Das bedeutet zusätzliche Abwechslung und sollte die Sache eigentlich erleichtern, auch ich fühle mich plötzlich wie in einer Blase und verliere komplett das Zeitgefühl. Ich bewege mich weiter vorwärts ohne wirklich viel mitzubekommen. So erreiche ich den nächsten VP (19 vor dem Ziel).
Zum Glück kommen nun Markus und Tobias von hinten und ich bitte sie auf mich aufzupassen. Die beiden wollen aber nochmal Gas geben und ich versuche dranzubleiben. So kommen wir zum nächsten Kontrollpunkt (13km to go). Danach geht es durch den Wald und ich habe einen totalen Blackout. Ich komme wieder zu mir und habe komplett die Orientierung verloren. Es gibt keine Streckenmarkierung mehr und ich finde keine Ausweg aus dem Wald. Ein absoluter Alptraum. Ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Planlos streife ich durchs Unterholz in der Hoffnung irgendwie wieder aus dem Wald rauszukommen. Dann schlafe ich etwas auf einem umgestürzten Baum. Mir wird kalt und ich habe immer noch keinen Plan, was ich machen soll (dass ich eine Notfallnummer anrufen kann und sogar ein GPS-Gerät dabeihabe, bekommt mein benebelter Geist nicht mehr mit).
Ich treffe nach langer Suche durch Zufall auf zwei alte Wanderer, die mir grob einen Ausweg schildern können. So komme ich tatsächlich aus dem Wald an eine Bundesstraße und auf einem Feldweg ins nächste Dorf. Dort treffe ich drei Männer beim Grillen und schildere meine missliche Lage. Die Königs-Alm ist ihnen gut bekannt, aber völlig woanders. Ein Mann bietet sofort an mich mit seinem Auto dahinzufahren.
Gott sein Dank hat der Alptraum ein Ende!!! Unterwegs realisiere ich, dass es erst früher Abend ist und das Zeitlimit noch gar nicht erreicht ist.
So melde ich mich bei der Rennleitung ab, bevor noch eine Suchaktion ausgelöst wird. Dort treffe ich auch Wanderführer Peter wieder, mit dem ich vor fast zwei Tagen in Fuldabrück gestartet war. Er überreicht mir aufgrund meiner Leistung von über 170km eine Medaille und die tolle Veranstaltung findet ein würdiges Ende!
Mit nun ein paar Tagen Abstand bleibt festzuhalten: eine wirkliche tolle Veranstaltung. Bis auf einige Wunden an den Füssen geht es dem Körper ausgezeichnet. 170 Kilometer sind für mich machbar, aber zwei Tage ohne Schlaf sind richtig hart.
Ich werde aus dem Erlebnis viel mitnehmen und lernen!