So hatte es zumindest ja mal Profi-Bergsteiger Ueli Steck ausgedrückt und nun ist es nun zum geflügten Wort für den Ultralauf in den Bergen des Berner Oberlands geworden.
Ende 2016 nutzte ich den ersten Anmeldetag um mir auch sicher einen Startplatz für den härtesten 100km-Lauf der Alpen zu sichern.
Wie weit ich kommen würde, stand auf einem anderen Blatt, denn zwei Bekannte aus NRW waren vor einigen Jahren hier schon sehr früh am Cut-Off gescheitert.
Ich war auf jeden Fall bereit, alles zu geben um möglichst weit zu kommen!
Am Donnerstag Mittag treffe ich in Grindelwald ein, am Fuße des Eigers. Hier wurde im Laufe der letzten 80 Jahre Alpingeschichte geschrieben.
Ich nutze die Zeit um mich in der fantastischen Bergwelt des Berner Oberlandes schon mal etwas zu akklimatisieren.
Zunächst geht es vom Oberen Gletscher in Richtung Pfingstegg. Wenn die Sonne durch die Wolken tritt, merkt man direkt die Strahlkraft. So geht es durch den Wald zunächst bergauf und dann konstant dahin. Außer mir ist hier kaum jemand unterwegs und ich geniesse die Stille. Ich kenne zwar keine alten Bilder, aber der Gletscher hoch über mir war früher sicher deutlich größer.
Auf dem Pfingstegg ist dann schon deutlich mehr Trubel. Einige Leute nutzen die Rodelbahn als Ausflugsziel. Der Blick auf Grindelwald und die grünen Almen ist sehr idyllisch, bevor es am Marmorbruch wieder abwärts geht. Am Gletscherbruch kann man prima die tiefen Einschnitte im Gelände sehen und die Kraft des Wassers erahnen.
Entlang des Bachs geht es dann über den Ortsteil Grund zurück zur Downtown Lodge.
Ein leichter Sonnenbrand und müde Beine sind das Ergebnis dieser ersten schönen Tour.
Um die Beine etwas zu lockern, gehe ich im Schwimmbad noch einige Bahnen ziehen.
Am Freitag steht die Materialkontrolle in der Curlinghalle auf dem Programm.
Die Organisation ist gut und so komme ich recht flott an die Reihe. Die Kontrolleure sind zufrieden und ich halte meine Startnummer 330 in der Hand.
Das obligatorische Foto vor der Plakatwand darf bei mir natürlich genauso wenig fehlen wie bei den anderen Startern.
Am Abend gibt es die Pasta-Party und das Briefing inklusive Kinderlauf. Alles im kleineren Rahmen als z.B. an der Zugspitze, aber dennoch ok.
Die Wetteraussichten für das morgige Rennen sind gut und die Aufregung steigt langsam an.
Zum Abschluss der Veranstaltung wird noch ein Gedenkfeuer für Ueli Steck entbrannt, der im Frühjahr im Himalaya tödlich verunglückte.
Zeit, heute mal zeitig ins Bett zu gehen, denn um 4.30h fällt ja morgen schon der Startschuß.
Netterweise gibt es in der Lodge um 3 Uhr morgens schon ein Frühstück. Manche Teilnehmer haben sich das Streckenprofil auf den Unterarm geklebt um immer auf dem aktuellen Stand zu sein. Viel mehr gibt es nicht zu tun, also noch einmal stärken, dann den Laufrucksack und den Dropbag geschnappt. Zum Startbereich sind es nur 500 Meter zu gehen.
Das Wetter scheint zu passen. Ich werde mit Sweatshirt starten. Sicher wird es bergauf zur Grossen Scheidegg warm werden, aber die Höhe und der eventuelle Regen in den Morgenstunden werden das ausgleichen.
Wegen dem gegenüberliegenden Hotel wird vorerst auf laute Musik verzichtet.
Jeder Ultra hängt seinen eigenen Gedanken nach. Dann wird es ernst. Die Uhr über dem Startbanner läuft ununterbrochen näher auf 04:30:00 zu.
Mit einem lauten Böllerschuß wird der härteste 100km-Lauf der Alpen eröffnet - es wird ein epischer Tag werden!
Nach einer Rechtskurve geht es bergauf durch Grindelwald. Einige Touristen, Angehörige und Hotelangestellte stehen am Streckenrand und feuern uns an.
Dann beginnt de Wanderweg und es wird einsamer. Noch sind die über 600 Teilnehmer eng beieinander, so dass sich an heiklen Stellen immer wieder Staus bilden. Das kostet zwar etwas Zeit, aber dafür verletzt sich keiner ernsthaft.
Steil bergauf geht es nun Richtung Grosse Scheidegg, während es langsam hell wird.
Der Schweiß fließt bei mir in Strömen. Tief unten mir liegt Grindelwald, als ich um 6.30h endlich an der ersten Verpflegungsstelle ankomme.
30 Minuten vorm Zeitlimit. Nicht so schlecht!
Weiter zieht sich der Weg steil bergauf Richtung First. Eine Gruppe Ziegen steht auf der Strasse und schaut uns Läufern verwundert bei unserem Treiben zu. Der Wind macht die Sache nun wieder deutlich frischer, so dass ich die Ärmel wieder herunterkrempele.
Kurz vor dem Gipfel biegt die Strecke nach links ab. Es geht nun wieder bergab Richtung Bort. Ich überhole einen Engländer, der mich nach dem Zeitlimit fragt. "8.30h". Lange ist das nicht mehr hin, wie ich verblüfft feststelle.
Nun geht es mit 20% Gefälle bergab. Hui, diese Strecke möchte ich niemals mit dem Auto fahren - weder hoch noch runter. Auch für die Knie ist das hier sicher alles andere als gesund.
Aus der Firstbahn feuern mich die wenigen Touristen an, die jetzt schon unterwegs sind, und dann taucht die Zwischenstation Bort endlich auf.
Nur noch 15 Minuten Vorsprung aufs Zeitlimit!
Also nichts wie weiter!
Eigentlich wollte ich ja diese Hetzerei vermeiden, aber schneller kann ich nicht.
Das nächste Zeitlimit hört sich locker an, vielleicht kann ich da ja Puffer aufbauen?
Es geht nur bergauf zum First. Nachdem ein paar Ziegen überholt sind, lasse ich im Wald auch einen Österreicher hinter mir. Vor mir läuft eine Chinesin, aber der kann ich nicht folgen. Auf längeren Passagen sehe ich sie noch vor mir, aber die meiste Zeit bin ich völlig allein unterwegs. Es geht nur gegen die Uhr.
Dann ist der Wald zuende und es öffnet sich ein weiter Blick Richtung Gipfel. Die wilde Metallkonstruktion kann ich schon von unten erkennen. Es geht nun in vielen Serpentinen den Hang hoch. Oben warten schon die Touristen.
Wirklich toll sieht es mit der Zeit auch nicht aus. Das wird wieder knapp.
Der Aufstieg kostet Kraft und endlich bin ich oben. Hier komme ich mit den E51-Läufern zusammen, die sich diese Extra-Schleife sparen konnten.
Etwas schwindelfrei sollte man schon sein, wenn man über die Balustrade läuft, denn einige hundert Meter Luft liegen unter einem.
Nach einer kurzen Stärkung auf First geht es weiter.
Mit 20 Minuten Puffer. Ich bin nun mitten im mittleren Feld der 51-Kilometer-Läufer, was bedeutet, dass ich häufig überholt werde. Einerseits etwas nervig, andererseits auch motivierend, da ich nicht mehr alleine bin.
Ich denke, ich bin der Letzte noch verbliebene 101km-Renner, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Österreicher den CutOff noch geschafft hat.
Es geht nun in einigen Bergwegen weiter Richtung Faulhorn. Manchmal kommt die Sonne raus, dann sind wir wieder mitten in den Wolken. Insgesamt ist es eher frisch.
Die schönen Bergseen nehme ich wahr, aber es zieht mich weiter - die Uhr tickt.
In den Bergab-Passagen versuche ich es mit dosiertem Tempo. Alles andere würden zuviel Kraft kosten.
Die Zwischenstation am Feld erreiche ich mit 30 Minuten Vorsprung auf Zeitlimit. Ein erster Lichtblick am Horizont!
Jetzt wird es heftig. Es geht zum höchsten Punkt der gesamten Strecke - 2680m.
Die Wolken werden nun lichter und geben den Blick auf sensationellen Aussichten frei. Was für eine majestätische Bergwelt!!!
Und dann beginnt der endlose Anstieg.
Als hätte die bisherige Strecke noch keine Kraft gekostet, wird es jetzt richtig schwierig. Wirklich endlos scheint der Weg. Ich überhole nun tatsächlich auch einige meiner Mitläufer.
Weit oben taucht dann irgendwann endlich die Faulhorn-Hütte auf und nach einer flachen Passage, geht es im steinigen Gelände weiter.
Der letzte Kilometer wird angekündigt, denn oben wurde vor vielen Stunden der Bergpreis vergeben. Es wäre interessant zu wissen, wie schnell die Profis hier hoch kommen.
Ich bin dankbar für die Cola am Verpflegungspunkt und habe auf dem letzten Abschnitt wieder Zeit verloren. Was für eine Plackerei! Nichts wie weiter zur Schyniger Platte.
Jetzt geht es nur noch bergab.
Aber das Gelände ist leider so schwer, dass ich nicht wirklich schnell voran komme. Nach 5 Kilometern soll die Zwischenstation Egg komme, aber an der einzigen Hütte im Niemandsland laufen wir vorbei.
War das Egg? Dann wäre ich nach 45 Minuten da gewesen. Das war eigentlich zu schnell.
Jetzt überhole ich eine junge Holländerin, die völlig verdreckt ist und ein grosses Pflaster am Kinn trägt. Sehr tapfer. Solche heftigen Stürze will ich auf jeden Fall vermeiden.
Hinter einem grossen Felsen taucht dann der VP "Egg" auf. Hier gibt es nur Wasser. Das können sie behalten, ich bin noch versorgt, aber wirklich in Sorge. Ich bin in Zeitnot.
Am Wegrand sitzt Udo, der mir bestätigt, dass 15.30h der CutOff ist und nicht 15h, wie ich dachte.
Also weiter. Die Schyniger Platte kenne ich noch von meiner Reise 2008 und wähne mich einigermassen sicher. Unter mir liegt Interlaken in der Ferne am Brienzer See.
Was ich nicht ahne: bis zum VP müssen wir noch eine grosse Extrarunde auf der Platte drehen.
Als ich das realisiere, wird mir klar, dass der CutOff kaum noch zu schaffen ist.
Wieder sehe ich Udo am Wegrand, der mir nachruft, dass das Rennen doch schon sinnlos sei. Aber ich will alles probieren. So gebe ich mich nicht geschlagen.
Vier Minuten vorm CutOff komme ich tatsächlich an und bitte um etwas Zeit um zumindest meinen Trinkrucksack aufzufüllen, was man mir auch gewährt.
Und so bin ich direkt wieder unterwegs. Mit letztem Einsatz habe ich den Kopf nochmal aus der Schlinge gezogen. 2 Minuten vor Ultimo.
Nach Burglauenen geht es 9 Kilometer fast nur bergab. Dass die 101 Kilometer für mich heute nicht mehr machbar sein, steht schon lange fest. Aber den nächsten Verpflegungspunkt will ich vor dem Zeitlimit noch erreichen. Dann kann man auf die kürzere Strecke abbiegen. Ein Ziel, das mich weiter vorantreibt.
Inzwischen ist es sonnig warm. Im unteren Bereich kommen 1-2 Quellen, die wir dankbar nutzen. Wir - denn Udo ist überraschenderweise auch noch dabei und wir machen nun gemeinsame Sache.
Udo ist letztes Jahr dort auch ausgestiegen und kennt die Strecke also. Zum Glück ist es trocken, denn im Nassen möchte ich diesen Abschnitt nicht herunterhetzen.
Für Fotos ist jetzt keine Zeit mehr.
Um 17.45h will ich am nächsten Checkpoint stehen!!!
Unten im Tal sieht man bereits das Dorf, aber die Zeit tickt auch kontinuierlich weiter. Es ist schwer abzuschätzen, wie wir liegen.
Dann kommt der Moment, wo ich auf der Wiese mit dem rechten Fuß umknicke. Der Schmerz schießt sofort durch den Körper. War ich mir schon zu sicher? Wir haben noch knapp 12 Minuten für das letzte Stück und ich beiße die Zähne zusammen.
Dann ist es geschafft: 5 Minuten haben wir gerettet!
Was für eine Erleichterung. Ich suche sofort den Verantwortlichen auf um ihm mein Abkürzen mitzuteilen. Der ganze Zeitdruck der letzten Stunden fällt von mir ab.
Jetzt gibt es Pasta und ich kann mich das erste Mal seit dem Start hinsetzen.
Mission completed!
Der weitere Weg Richtung Grindelwald ist doch flach und asphaltiert. Das schaffe ich auch mit meinem kaputten Knöchel.
Entspannt laufe ich mit Udo das Tal entlang. Es geht leicht bergauf, immer am Fluß entlang.
Jetzt ist auch Zeit für nette Gespräche.
Ein letzter langer Anstieg bringt uns auf die Dorfstrasse, wo uns die Einheimischen bereits applaudierend empfangen. Die Strapazen der letzten Stunden sind fast vergessen (ok, der Körper ist schon sehr erschöpft).
Um 19.15h laufen wir über den roten Zielteppich auf dem Bärplatz und bekommen unsere Finishermedaille.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals für eine Medaille so gekämpft zu haben. Was für eine Schlacht!
Die 101 Kilometer wären heute für mich nicht möglich gewesen, deshalb bin ich mit dem Ausgang mehr als zufrieden.
Was bleibt ist eine tiefe Dankbarkeit für das überstandene Abenteuer.